Titel
Geschichte Italiens im Mittelalter.


Autor(en)
Goez, Elke
Erschienen
Darmstadt 2010: Primus Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Dartmann, Exzellenzcluster "Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne " / Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Geschichte des italienischen Mittelalters erfreut sich nach wie vor eines großen Interesses in der deutschsprachigen wie internationalen Mediävistik. Während die deutschsprachige Diskussion lange im Schatten der Kaiser- und Reichsgeschichte stand, fokussierte sich das Interesse in Italien insbesondere auf die Stadtkommunen des Hoch- und Spätmittelalters als vermeintliche Vorläufer des modernen Italiens. Die angelsächsische Forschung integrierte die Geschichte Ober- und Mittelitaliens spätestens ab dem 14. Jahrhundert zumeist in das Paradigma der ‚Renaissance-Studies‘. Von der ungebrochenen internationalen Popularität des Gegenstandes zeugt nicht zuletzt die große Zahl zusammenfassender Darstellungen, die das italienische Mittelalter oder zumindest größere Ausschnitte daraus einem breiteren Publikum zugänglich machen, etwa die mehrbändige „Short Oxford History of Italy“, Giuliano Milanis brillante Übersicht über die italienischen Stadtkommunen oder auch die entsprechenden französischen Einführungen von Pierre Racine und Patrick Boucheron. In Deutschland musste man sich entweder mit mehr oder weniger ausführlichen Kapiteln in Überblickswerken behelfen, die einem größeren Zeitraum gewidmet waren, oder zu Werner Goez’ 1975 zum ersten Mal erschienener Geschichte Italiens in Mittelalter und Renaissance greifen.1 Erst jetzt legt Elke Goez bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft eine Monographie vor, die eine zusammenfassende Darstellung der faszinierenden und vielfältigen Geschichte der Apenninenhalbinsel von der Implosion des Weströmischen Reichs bis zur Epoche von Renaissance und Humanismus bietet.

Gleich zu Beginn benennt Goez das Kernproblem, das sich bei einem solchen Unterfangen stellt: Italiens Geschichte lässt sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen, weil die Halbinsel politisch, gesellschaftlich und kulturell nie eine Einheit darstellte, die auch die Sprache nicht herstellen konnte. Diese Vielschichtigkeit oder Zerrissenheit macht es unumgänglich, „die Geschichte Italiens in Einzelgeschichten mit häufigem Perspektivenwechsel [zu] erzählen“ (S. 16). Die Frage nach den Leitperspektiven der Darstellung ist damit aufgeworfen. In 15 Kapiteln verfolgt Goez in chronologischer Abfolge die Geschicke Italiens seit der Spätantike bis zu den Kriegen, die diese Regionen zu Beginn der Frühen Neuzeit erschütterten, als die Halbinsel zum „internationalen Kriegsschauplatz[]“ (S. 252-273) geworden war. Die meisten Kapitel orientieren sich an den gängigen Zäsuren der politischen Geschichte, erst ab dem 11. Jahrhundert handelt Goez die Entwicklungen in Ober- und Mittelitalien getrennt von den weiter südlich gelegenen Landstrichen ab. Diese klassische Einteilung mag es erübrigen, an dieser Stelle die Inhalte der einzelnen Abschnitte zu referieren. Der rote Faden ergibt sich aus der Abfolge vor allem der politisch-institutionellen Strukturen: Auf das Ende des Weströmischen Reiches und die frühen Herrschaftsbildungen der Goten und Langobarden folgt die Rivalität zwischen Byzantinern, dem Papsttum, den nordalpinen Herrschern und lokalen Kräften um die Kontrolle der italischen Halbinsel, dann die neuen Dynamik durch die Kirchenreformen seit dem 11. Jahrhundert und die Auseinandersetzung mit nordalpinen und süditalienischen Kräften und den erstarkenden Stadtkommunen, die in den Konflikten zwischen den staufischen Herrschern, den Päpsten und zahlreichen Städten ihren Höhepunkt fanden, schließlich das spätmittelalterliche Italien, in dem Kommunen, Territorialstaaten und der Kirchenstaat miteinander rangen, bis die Apenninenhalbinsel zum Schlachtfeld europäischer Hegemonialmächte wurde.

Im Zentrum der Geschichtserzählung stehen politische Gegebenheiten auf der Ebene dessen, was man in späteren Jahrhunderten als souveräne Staaten bezeichnet hätte. Überaus detailliert werden etwa Intrigen, Ehebündnisse und Schlachten nachgezeichnet, durch die Theoderich oder die Langobarden ihre Macht gewannen und die Karolinger sie wieder verloren. Wenn, wie eingangs skizziert, der Fokus auf der Vielfalt politischer Akteure und den schwachen einigenden Kräften auf der italienischen Halbinsel liegt, wird das in eine Narration überführt, die sich vor allem um die große Politik oder die Politik der Großen kümmert. Diese Fokussierung scheint in eher beiläufigen Bemerkungen auf, wenn es etwa den Auseinandersetzungen um die Krone Italiens während der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts zugeschrieben wird, dass neben den „Sarazenen“ die Magyaren in Plünderzügen über Italien „herfielen“: „Die politische Instabilität der Apenninenhalbinsel hatte unterschiedliche Beutegierige angelockt.“ (S. 70) Ebenso werden die Jahre der Regentschaft für den minderjährigen Otto III. für den Aufstieg neuer, langfristig Oberitalien prägender Adelsfamilien verantwortlich gemacht (S. 81). Weil Goez die Bedeutung der Kaiser und Könige so hoch ansetzt, wie sich in diesen Bemerkungen abzeichnet, ist es nur folgerichtig, dass sie vor allem deren Geschicke ins Zentrum ihrer Darstellung rückt.

Etwas anders verhält es sich mit den Passagen, die dem Aufstieg der Stadtkommunen gewidmet sind. Ihr wachsendes Gewicht leitet sie aus ökonomischen und sozialen Faktoren ab, die die Stellung der Bischöfe schwächten, die Stadtbevölkerung wachsen ließen und die Dominanz der Kommune begründeten (S. 122-134). Auch die weitere Geschichte dieser politischen Verbände entwickelt Goez aus ihrer ökonomischen Rolle als Vorreiter in Gewerbe und Handel (S. 161-179). In diesen Passagen wird die städtische Ämterstruktur ebenso nachgezeichnet wie sozial motivierte innerstädtische Konflikte, kommunale Bautätigkeit oder auch das dynamische religiöse Leben der Stadtbewohner zwischen neuen Frömmigkeitsformen und Häresien. Besonders erfrischend sind kleine Hinweise wie der auf die angebliche Entstehung des Panettone (S. 40) oder auf die grotesken Symbole des ‚Campanilismo‘ wie den Bologneser Holzeimer, der bis heute als Trophäe in der Nachbarstadt Modena vorgeführt wird (S. 167). Die Akzentsetzung des Bandes lässt sich noch einmal am vierzehnten Kapitel ablesen, das unter dem Titel „Humanismus und Renaissance – Hochblüte Italiens am Ende des Mittelalters“ steht. Es beinhaltet neben den Ausführungen zu Literatur und Bildung (S. 227-229) und zu den bildenden Künsten (S. 229-231) erneut vor allem eine Nacherzählung der politischen Abläufe zwischen dem ausgehenden 14. Jahrhundert und dem Einbruch der Franzosen in Italien im Jahr 1494 (S. 231-251).

Jede zusammenfassende Darstellung von einem Jahrtausend italienischer Geschichte muss vor allem aus Auslassungen bestehen. Daher kann aus einem Verweis auf Themenfelder und Forschungsergebnisse, die der Band nicht oder kaum berücksichtigt, kein Vorwurf konstruiert werden. Dennoch mag ein Hinweis auf einige Aspekte, die in dieser Geschichte Italiens nicht breiter behandelt werden, dazu beitragen, das inhaltliche Profil des Bandes präziser zu charakterisieren. So hat etwa die archäologische Forschung das Bild von der Siedlungs-, Wirtschafts- und Religionsgeschichte der Langobardenzeit wesentlich verfeinert, wie zuletzt zwei große Ausstellungen eindrucksvoll vor Augen gestellt haben.2 François Bougard, Chris Wickham, Massimo Vallerani, Giuliano Milani oder Andrea Zorzi haben die Bedeutung rechtsförmiger wie außergerichtlicher Strategien der Konfliktführung für die Herrschaftspraxis im früh- und hochmittelalterlichen Italien ebenso aufgezeigt wie für die kommunale Gesellschaft. Im Gefolge von Pierre Toubert haben vor allem italienische und französische Mediävisten wie Vito Fumagalli, Giuseppe Sergi, Paolo Camarosano oder François Menant systematisch die ländlichen Herrschaftsstrukturen rekonstruiert, die die ökonomischen und sozialen Verhältnisse Italiens seit dem 11. Jahrhundert grundlegend umstrukturiert haben. Auch die Neubewertung der Herrschaftspraxis Friedrich Barbarossas – sein nur vermeintlicher Rückgriff auf alte Herrschaftsrechte im Zuge des Reichstags von Roncaglia 1158 oder auch sein Bemühen, den ‚honor imperii‘ zu wahren – gehört zu den Themen, die in Elke Goez Buch keine breitere Berücksichtigung finden.

Die kurzen bibliographischen Hinweise, die der Darstellung beigefügt sind, können nicht überzeugen und scheinen nicht mehr sorgfältig lektoriert worden zu sein. Anders lässt sich die Unvollständigkeit der Angaben nicht erklären. Auf die Handbücher von Stefan Weinfurter, Heinrich II., und Alheydis Plassmann, Die Normannen, wird zwar im Text verwiesen (S. 86, S. 100), nicht jedoch in der Bibliographie, Reihentitel werden gelegentlich genannt, gelegentlich nicht, einige Namen sind falsch aufgeführt (Cristina La Cocca statt La Rocca, Tim statt Tilman Struve, Giovanni Tobacco statt Tabacco, David statt Daniel Waley), die weiteren Angaben (Erscheinungsort, Verlag, Erscheinungsjahr) werden nicht konsequent aufgeführt oder ausgelassen. Gewichtiger jedoch ist, dass in der Literaturliste neben Handbüchern einige Detailstudien aufgeführt werden, andere Arbeiten aber wie etwa die von Knut Görich zwar in der Darstellung verarbeitet worden sind (S. 76, S. 137), jedoch keine Erwähnung finden.

Insgesamt folgt Elke Goez in ihrer „Geschichte Italiens im Mittelalter“ im Gesamtkonzept wie in vielen Details dem Vorbild der klassischen Einführung ihres verstorbenen Mannes. In ihre Darstellung, die sie flüssig lesbar neu abgefasst hat, flicht sie behutsam neue Ergebnisse ein, bleibt jedoch in den Grundzügen ihrem Vorbild treu. Somit liegt eine aktualisierte Einführung vor, die vielfältige Einblicke in die faszinierende Geschichte der Apenninenhalbinsel eröffnet.

Anmerkungen:
1 Cristina La Rocca (Hrsg.), Italy in the Early Middle Ages, 476-1000, Oxford 2002; David Abulafia (Hrsg.), Italy in the Central Middle Ages, 1000-1300, Oxford 2004; John M. Najemy (Hrsg.), Italy in the Age of the Renaissance, 1300-1550, Oxford 2004; Giuliano Milani, I comuni italieni, secoli XII – XIV, 4. Aufl., Rom-Bari, 2009 (1. Aufl. 2005); Pierre Racine, Les villes d'Italie. Du milieu du XIIe siècle au milieu du XIVe siècle, Paris 2004; Patrick Boucheron, Les villes d'Italie. Vers 1150 - vers 1340, Paris 2004; Werner Goez, Grundzüge der Geschichte Italiens in Mittelalter und Renaissance, Darmstadt 1975.
2 Vgl. die einschlägigen Ausstellungskataloge: Carlo Bertelli / Gian Pietro Brogiolo (Hrsg.), Il futuro dei Longobardi. L’Italia e la costruzione dell’Europa di Carlo Magno, Ausstellungskatalog Brescia 2000, Mailand 2000; LVR-Landesmuseum Bonn / Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.), Die Langobarden. Das Ende der Völkerwanderung, Ausstellungskatalog Bonn 2009, Darmstadt 2008.